aus dem Leben einer studierenden Leseratte
Ich möchte ungern diesen Blog direkt mit einer Rezension beginnen. Erst recht nicht mit einer Rezension eines Buches das mich, zugegeben, nur wenig gefesselt hat. Aber es gibt hin und wieder, da werden einige geneigte Leser mir bestimmt zustimmen, Bücher die man im Allgemeinen als wenig erquickend betrachtet und dennoch ist ein bestimmter Aspekt des Buches hängen geblieben und man kommt nicht umhin genauer darüber nachzudenken.
Genau so ging es mir mit „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ von Italo Calvino, aus dem Jahre 1979. Ich möchte gar nicht näher auf den Inhalt des Buches eingehen und schon mal gar nicht meine Meinung dazu kundtun, vielmehr möchte ich dieses Buch als Pflichtlektüre des Studiums abtun, in mein Regal legen und wahrscheinlich nicht wieder zur Hand nehmen. Dennoch ist ein Gedanke in meinem Hirn hängen geblieben, noch verstärkt durch den entsprechenden Kommentar meines Dozenten heute Morgen.

Calvino schreibt über das Lesen. Zu seiner Zeit ein ungewöhnlicher Plot in einem Buch, revolutionär beinahe, weswegen das Buch es vermutlich auch in den Kanon meines Studienganges geschafft hat. Der Protagonist des Buches ist das, was man einen „idealen Leser“ nennt, jemand der unbefangen restlos alles linear liest was er in die Pfoten bekommt, mitfiebert und nicht Ruhe gibt bis er den Inhalt eines Buches zur Gänze erschöpft hat. Bisher habe ich mich für einen „idealen Leser“ gehalten, zumindest laut dieser Definition. Nun trifft dieser „ideale Leser“ im Verlauf der Geschichte auf verschiedene andere Arten von Lesern. Unter anderem auf Agenten und Lektoren eines Verlagshauses.

An dieser Stelle möchte ich die Information einstreuen, dass ich mir gut vorstellen kann später selber als Lektorin tätig zu werden.

Calvino, völlig angetan von seinem „idealen Leser“, stellt den Lektor als eher lieblosen, pragmatischen und automatischen Leser da, jemand der nicht liest um des Lesens Willen sondern rein aus finanziellen und beruflichen Gründen. Der Lektor wandelt sich von einem Leser in eine Maschine. Eine Maschine, für die das Lesen von Büchern zur Fließbandarbeit geworden ist. Es scheint so als wären die Geschichten selber nichts wert für diesen Lektor. Er ist abgestumpft und nicht mehr zugänglich für die Schönheit von Fiktion und Sprache.

Nun frage ich mich ernsthaft: Wenn ich den Beruf des Lektors ergreife, macht mich das auch zu einer Maschine?

Es gibt das Gerücht, dass Menschen, die in einer Schokoladenfabrik arbeiten keine Schokolade mehr essen können. Es entsteht eine schlichte Übersättigung an dem Fach.
Ich bin kein realitätsfremder Mensch, schon lange nicht mehr, und mir ist durchaus bewusst dass der Beruf des Lektors nicht so blauäugig betrachtet werden kann, als dass ich den ganzen Tag gemütlich meinem schönsten Hobby, dem Lesen, frönen könnte. Aber dass ich wirklich so abstumpfen soll, das will und kann ich nicht einsehen.

Kann man sich an Kunst satt sehen? Hat der Betreiber einer Galerie irgendwann die Schnauze voll von Malereien? Kann es wirklich passieren dass ich eines Tages zur Maschine verkomme?

Es bildet sich grade folgendes Szenario in meinem Kopf: Ich sitze eines Tages in meinem Büro im Verlagshaus in dem ich arbeite. Vor mir liegt ein Stapel mit Manuskripten. Ich nehme mir das erste Manuskript, lese es, korrigiere es, bewerte es still in meinem Kopf und lege es zur Seite. Ich mache eine kurze Pause um das grade Gelesene zu vergessen und nehme dann stumpf das nächste Manuskript zur Hand und wiederhole das, was ich grade eben schon getan habe. Und damit fahre ich fort bis alle Manuskripte von einem Stapel auf den nächsten gewandert sind. Dann fahre ich nach Hause, genieße den Feierabend, fahre am nächsten Morgen ins Büro zurück und mach genau das Gleiche wie am Vortag.

Ich beharre an dieser Stelle nicht auf die Richtigkeit der von mir geschilderten Vorstellung, es ist wie gesagt nur ein Bild in meinem Kopf und muss – sollte! – nicht der Realität entsprechen.

Muss ich mich wirklich stumpf durch die Manuskripte arbeiten? Wird Lesen wirklich irgendwann seine Magie für mich verlieren? Ich erhoffe mir nach wie vor, dass ich es auf diesem Weg schaffe unvoreingenommen auf literarische Kostbarkeiten zu stoßen, inspiriert zu werden und gute Literatur – wobei ‚gut’ sowieso rein subjektiv ist – wirklich zu schätzen lerne.

Sollte sich irgendwann ein Lektor auf meinen Blog verirren, würde ich mich freuen wenn er mit mir in Kontakt tritt, um mir meine Ängste hoffentlich zu nehmen.